Deutschland hat neun Nachbarn, mehr als jedes andere Land in Europa – zuzüglich fünf Anrainer der Ostsee, die EU-Mitglieder sind. Doch die deutsche Außenpolitik nutzt das kaum. Sie konzentriert sich auf das deutsch-französische Tandem, das immer weniger Zugkraft entfaltet – weil in der größer gewordenen EU der Stellenwert beider Länder kleiner ist und ihre Volkswirtschaften krass divergieren: Deutschland blüht, Frankreich welkt. Hinzu kommt, dass politische Kompromisse in Europa immer auch kultureller Natur sind. Verständigen sich wie bisher Frankreich samt Südeuropa und Deutschland samt Nordeuropa, ist das nicht von vornherein stimmig für Osteuropa. Die EU ist eben auch slawisch, nicht nur lateinisch und germanisch.
Anrainer in Nord-, Süd- und Osteuropa einbinden
Kann die heterogene EU eine homogene Außenpolitik entwickeln? Der Weg führt über eine »doppelte Nachbarschaftspolitik«: Gemeinsam sollten Berlin und Paris möglichst viele Anrainer in Nord-, Süd- und Osteuropa einbinden. Und das wäre die Voraussetzung einer europäischen Nachbarschaftspolitik im Krisenbogen von der Ukraine über die Türkei bis nach Nahost und Nordafrika. Beide Aufgaben werden lange Jahre beanspruchen.
Die Schlüsselstaaten rundherum sind Russland, die Türkei, Iran, Saudi-Arabien, Ägypten – und die usa mit England im Schlepptau. Auf diese sieben kommt es an, um Europas Umfeld etwas zu befrieden.
Roger de Weck
Zu den wichtigsten Themen der EU-Außenpolitik sollten Deutschland und Frankreich innerhalb der Europäischen Union informelle »Clubs« aufbauen, denen immer ein paar ost-, nord- und südeuropäische EU-Länder angehören. Die Clubmitglieder würden sich um den Abgleich und Ausgleich ihrer außenpolitischen Interessen bemühen, um dann auf die übrigen EU-Länder einzuwirken. Das erfordert, jenseits des üblichen Brüsseler Geschäftsverkehrs, eine permanente innereuropäische Reisediplomatie, die abzustimmen ist zwischen Berlin, Paris und (sobald wieder möglich) Warschau.
Ansätze in diese Richtung gibt es, doch fehlen ein Plan und außenpolitische Gruppierungen, die bewusst die drei Kulturwelten der EU verknoten. Solcher »Clubs« bedarf es aber, weil Deutschland und Frankreich im Tandem nicht länger Nachhaltiges zu bewirken vermögen – und schon gar nicht im Alleingang: Das offenbarte die Krise um die Flüchtlinge, als die Kanzlerin zwar moralische, aber keine politische Führung bewies und in der EU keine Koalition zu bilden versuchte.
Schlüsselstaaten sind Russland, Türkei, Iran, Saudi-Arabien, Ägypten
Zugegeben, all dies ist leichter gesagt als getan. Gibt es jedoch Alternativen? Unerlässlich ist es, unter 27 EU-Mitgliedern mit grundverschiedenen Prägungen und Prioritäten die Meinungsbildung und das Einbringen nationaler Interessen zu strukturieren. Nur so hat die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) eine Chance. Und gut sechs Jahrzehnte nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft hätte der angedachte zweite Anlauf bessere Aussichten: Paris und Berlin neigen wieder zu einer solchen Gemeinschaft. Sie wird nötig, wenn Washington in den Sog der Isolationisten gerät. Sie wird möglich, da die Briten, die einzig und allein auf die Nato setzten, in der EU nichts mehr zu bestellen haben.
Berlin und Paris sollten informelle außenpolitische ›Clubs‹ aufbauen, denen ost-, süd- und nordeuropäische EU-Länder angehören.
Roger de Weck
Jedenfalls würden es solche »Clubs« der EU erleichtern, mit Blick auf ihre krisenhafte Umgebung überhaupt eine Außenpolitik zu führen. Die Schlüsselstaaten rundherum sind Russland, die Türkei, Iran, Saudi-Arabien, Ägypten – und die USA mit England im Schlepptau. Auf diese sieben kommt es an, um Europas Umfeld etwas zu befrieden. Und was wäre die Agenda einer Europäischen Union, die intern ihre außenpolitische Entscheidungsfindung strukturiert hätte? Sie müsste extern die Aufgabe anpacken, eine feste Dialogstruktur für multilaterale Dauerverhandlungen mit den Schlüsselstaaten zu errichten: ein diplomatisches Dach für Europa und seine maßgeblichen Partner.
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